Je länger Menschen mit ihrer Krebserkrankung leben, umso häufiger kommt es zu unerwünschten Spätfolgen. Selbst nach erfolgreichem Abschluss der Erstbehandlung leiden Betroffene noch lange unter den körperlichen, seelischen, sozialen und ökonomischen Folgen.
Nach Aussagen des Deutschen Krebsforschungszentrums leben in Deutschland etwa vier Millionen Menschen, die eine Krebserkrankung erfolgreich überstanden haben. Bei etwa zweieinhalb Millionen von ihnen liegt die Krebsdiagnose fünf Jahre oder länger zurück. In Fachkreisen werden sie als Langzeit-Krebsüberlebende, englisch „Cancer Survivor“, bezeichnet. Sie gelten dann als geheilt, wenn es innerhalb der fünf Jahre nach der Diagnose zu keinem Rückfall gekommen ist.
„Das fühlt sich für mich aber oft ganz anders an.“
Beate M. erhielt mit Anfang Vierzig bei einer Routineuntersuchung die Diagnose Brustkrebs. Es folgte der klassische „Triathlon“ aus Operation, Chemotherapie und Bestrahlung. Die Diagnose liegt heute sieben Jahre zurück. Seitdem waren alle Nachsorgeuntersuchungen unauffällig. „Meine Familie und meine Freunde gehen schon lange davon aus, dass das Kapitel Krebs abgeschlossen ist. Tatsächlich fühlt sich das für mich aber oft ganz anders an“, sagt Beate M.
Die Nürnbergerin sieht sich selbst als „Cancer Survivor“: „‚Cancer Survivor‘ ist für mich positiv besetzt. Es ist schön, dass es einen eigenen Begriff für Menschen wie mich gibt. Wir sind, gesundheitlich betrachtet, ja schon „besonders“: Auch wenn ich mich nicht mehr als Patientin verstehe, ist mein Leben nicht so, als wäre nichts geschehen. Die Krebserfahrung spielt nach wie vor in viele Bereiche meines Alltags hinein.“
So wie Beate geht es vielen Krebs-Überlebenden. Sie müssen mit Einschränkungen im Alltag, möglichen Nebenwirkungen oder auch einem veränderten Körperbild zurechtkommen. Manchem fällt das unendlich schwer. Auch die Nachsorgeuntersuchungen bedeuten immer wieder Stress, da die Angst vor einem Rückfall wie ein Damoklesschwert über ihnen hängt. Dieses bange Gefühl kennt auch Beate M.: „Was mich immer wieder beschäftigt, ist die Angst, dass der Krebs zurückkommt. Gerade bei neuen Krankheitserscheinungen, z. B. Rückenschmerzen, treiben mich dann die Sorgen um, bis das Ganze entweder von selbst verschwindet oder ärztlich abgeklärt wurde. In diesen Phasen bin ich bei der Arbeit und auch privat nicht so leistungsfähig wie sonst – das belastet mich dann noch zusätzlich.“
Individuelle Langzeit- und Spätfolgen
Viele Krebspatienten leiden schon während der Behandlung und noch lange danach unter chronischer Erschöpfung, der sogenannten Fatigue. Bei jüngeren Krebsbetroffenen kommt es häufig zu Störungen der Fruchtbarkeit und der Sexualität: „Ich wurde mit gerade mal 43 in die Wechseljahre katapultiert. Das ist für mein Selbstverständnis als Frau und auch für die Beziehung zu meinem Mann noch immer eine Belastung“, erinnert sich Beate M.
Die Langzeit- bzw. Spätfolgen sind individuell und werden von Betroffenen je nach Art der Erkrankung und der körperlichen Verfassung unterschiedlich wahrgenommen. Es kann passieren, dass Erkrankungen z. B. des Herz- und Kreislaufsystems, erst Jahre nach der Krebsdiagnose auftreten und dann gar nicht mehr als Folge des Krebses erkannt werden. Durch eine Chemo- oder Strahlentherapie können u.a. auch kognitive Einschränkungen, Konzentrationsstörungen, Nervenschäden sowie Knochen- und Muskelschwund entstehen.
Wie viele Survivor fragt sich auch Beate M., wie sich ihre Krebstherapie auf ihre Gesundheit auswirkt. Sie hat eine Hausärztin gefunden, die solche Themen mit viel Verständnis und Pragmatismus mit ihr durchspricht: „Für Menschen nach Krebs ist z.B. das Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen durch manche Krebsmedikamente oder Bestrahlungen sogar erhöht. Was bedeutet das für mich? Gibt es da Untersuchungen, die man vorsichtshalber machen sollte?“
Da fast die Hälfte aller Krebspatienten im Laufe der Erkrankung unter psychischen Belastungen leidet und bei einem Drittel zudem Depressionen oder Angststörungen entstehen können, empfehlen wir Betroffenen, sich schon früh an eine unserer Krebsberatungsstellen zu wenden. Dort beraten psychoonkologisch geschulte Mitarbeiter Erkrankte und ihre Angehörigen zu allen Fragenstellungen rund um eine Krebserkrankung, zu denen auch psychosoziale Fragen zu Problemen in der Familie oder am Arbeitsplatz sowie existenzielle Sorgen zählen.
Auch Beate M. hat sich Hilfe gesucht und eine Zeit lang von einem niedergelassenen Psychotherapeuten begleiten lassen. Das hat ihr sehr geholfen, mit ihren Unsicherheiten und Ängsten besser klarzukommen: „Es ist ein großes Glück, vom Krebspatienten zum „Survivor“ zu werden. Das versuche ich mir immer wieder vor Augen zu halten, wenn mich die Situation belastet“. Dabei hält sie es für völlig berechtigt, sich helfen zu lassen: „Ich kann nur empfehlen, gegebenenfalls professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Oder das Gespräch mit anderen „Survivorn“ zu suchen. Sie werden viel Verständnis bekommen, und auch anderen Mut machen. Beides tut der Seele gut.“
Beate M. ist nach Abschluss ihrer Therapie und der Rehabilitation wieder zurück in den Beruf gegangen. Aber sie verkürzte ihre Arbeitszeit: „Bei der Arbeit habe ich auf 80 Prozent reduziert, und mir so einen Tag pro Woche geschenkt, wertvolle Lebenszeit, die ich frei gestalten kann. Dieses neue Gleichgewicht fühlt sich gut an.“ Und sie hat auch ihre Lebensweise hinterfragt, weil eine gesunde Ernährung, Verzicht auf Alkohol und regelmäßiger Sport das Risiko, erneut an Krebs zu erkranken, deutlich senken können. „Ich habe mit dem Joggen angefangen, und achte mehr auf meine Ernährung. Wahrscheinlich sollte ich noch konsequenter sein, aber ein genussvolles Leben bleibt mir wichtig.“