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Methadon - Hoffnung auf ein neues Medikament in der Krebstherapie?

Foto: Dr. Michael Rechenmacher Quelle: Universitätsklinikum Regensburg

Ist Methadon tatsächlich ein wirksames Medikament im Kampf gegen Krebs? Diese Frage beschäftigt gerade viele krebskranke Menschen und deren Angehörige. Aber eine einfache Antwort darauf gibt es im Moment nicht. Aus Sicht der Betroffenen ist es nachvollziehbar, all den Versprechungen zu glauben. Auch wir würden einen echten Durchbruch in der Krebstherapie sehr begrüßen.

Allerdings lassen sich experimentelle Laborversuche und die wenigen darauf projizierten Patientenberichte nicht einfach auf die breite Masse der Erkrankten übertragen. Um wirklich zu wissen, in welchen Fällen Methadon helfen könnte, braucht es Beweise durch wissenschaftliche Studien. Diese müssen erst einmal erbracht werden.

Was ist eigentlich Methadon und wo kommt es heute schon in der Krebstherapie zum Einsatz? Darüber sprachen wir mit Dr. Michael Rechenmacher von der Universitätsklinik Regensburg. Der erfahrene Palliativmediziner arbeitet schon lange mit Methadon und sieht es durchaus kritisch. Auch deshalb informiert er am 19. September 2017 im Rahmen der Vortragsreihe unserer Krebsberatungsstelle vor Ort in der Stadtbibliothek Regensburg über das brisante Thema. Wir baten ihn vorab um eine Einschätzung.

Bayerische Krebsgesellschaft (BKG): Herr Dr. Rechenmacher, was ist Methadon?

Dr. Rechenmacher: Methadon ist ein künstlich hergestelltes Opioid. Damit wird eine Gruppe stark wirksamer Schmerzmittel bezeichnet. Die schmerzstillende Wirkung von Methadon ist schon seit über 70 Jahren bekannt und wird in dieser Indikation weltweit eingesetzt. In Deutschland gilt Methadon wegen seines Nebenwirkungsprofils eher als Reserve-Schmerzmittel. Es kommt vor allem bei Palliativpatienten mit komplexen Schmerzzuständen zum Einsatz, wenn andere Medikamente keinen ausreichenden Effekt erzielen können. In der öffentlichen Wahrnehmung (in Deutschland) ist das Medikament vor allem durch seine Verwendung als Heroin-Ersatzstoff in der Drogenersatztherapie bekannt.

BKG: Warum weckt Methadon derzeit große Hoffnung bei vielen unheilbar kranken Krebspatienten?

Dr. Rechenmacher: Offensichtlich befeuert durch zwei aktuelle Berichterstattungen großer Fernsehmagazine mit weitgehend identischem Inhalt ist Methadon sehr in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Zudem wird diese Substanz in verschiedenen Netzwerken und Foren schon seit längerer Zeit breit diskutiert. Dabei geht es nicht um den schmerzstillenden Effekt. Vielmehr soll Methadon auch gegen Krebs wirken.

Eine Forscherin aus Ulm konnte in Arbeiten mit Zellkulturen im Reagenzglas zeigen, dass sich durch die Zugabe von Methadon die Effekte der Chemotherapie verstärken lassen. Ferner behauptet ein Hausarzt aus Iserlohn, der auch das dort ansässige Hospiz betreut, dass seine Patienten mit Methadon besser und länger leben würden. Beide tragen ihre Erfahrungen in die Öffentlichkeit, nicht erst seit den aktuellen Fernsehsendungen.

Die Darstellung in den Fernsehberichten war begleitet von Einzelschicksalen, die ihren persönlichen Verlauf der positiven Wirkung von Methadon zuge- schrieben haben. Ferner wurde an vielen Stellen behauptet, dass es sich um eine (relativ) nebenwirkungsarme Behandlung handeln würde. Wie so oft haben viele Betroffene angesichts der "positiven" Berichte Hoffnung geschöpft - ein in der Onkologie häufig zu beobachtendes und gut nachvollziehbares Phänomen.

BKG: Welche Erfahrungen haben Sie als Palliativmediziner mit Methadon gemacht? Könnte es tatsächlich das Leben unheilbar kranker Menschen verlängern und auch die Lebensqualität verbessern?

Dr. Rechenmacher: Als Palliativmediziner setze ich Methadon in besonderen Fällen ein, wo anderweitige Medikamente keine ausreichende Schmerzlinderung erreichen konnten. Und natürlich verbessert Methadon schon alleine durch eine suffiziente Schmerzlinderung die Lebensqualität dieser Patienten. Schmerzfreiheit führt, primär ungeachtet durch welches Medikament erreicht, zu mehr Mobilität, Teilhabe am Leben und wieder mehr Lebensfreude. Ob Methadon einen lebensverlängernden Effekt hat, kann ich aufgrund meiner Beobachtungen nur subjektiv, nicht aber seriös einschätzen. Dafür wären geeignete wissenschaftliche Studien erforderlich.

BKG: Wenn Methadon im Labor- und Feldversuch bereits "Chemotherapie- verstärkend" wirkt, warum bekommt dann nicht gleich jeder unheilbar kranke Krebspatient Methadon begleitend zur Chemotherapie?

Dr. Rechenmacher: Ganz grundsätzlich gilt: tagtäglich werden viele Entdeckungen von "Wirksamkeiten" im Reagenzglas gemacht. Nur lassen sich diese Erkenntnisse nicht 1:1 auf den Menschen übertragen. Schlicht alleine deswegen nicht, weil der menschliche Organismus doch wesentlich komplexer ist, als die Situation im Reagenzglas es darstellt. Üblicherweise werden daher die Versuche wiederholt. Schafft man den wiederholten Nachweis, testet man die Substanzen in Tierversuchen. Und nur wenn auch diese erfolgversprechend sind, kann man sich an klinische Testungen wagen. Weit über 90 Prozent der positiven Ergebnisse im Reagenzglas können letztendlich keinen vergleichbaren Effekt im Menschen erreichen. Größte Sicherheit hinsichtlich der Wirksamkeit von Methadon begleitend zur Chemotherapie könnten prospektive, randomisierte klinische Studien bringen, diese gibt es bislang allerdings nicht. Auch sind bisher noch keine hinreichenden Falldarstellungen in der wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht, die wenigstens Hinweise auf einen solchen Anti-Tumoreffekt im Menschen liefern würden.

BKG: Fachgesellschaften berufen sich auf klinische Studien, aber warum wurde nicht schon längst eine Studie in Auftrag gegeben?

Dr. Rechenmacher: Darüber kann ich nur spekulieren. Als Argumente werden immer wieder die geringen Kosten des Medikaments oder die fehlende Patentfähigkeit genannt. Diese Aspekte können begünstigt
haben, dass es bislang keine großen Studien gab. Allerdings sind auch die wissenschaftlichen Aspekte nicht hinreichend, um in eine klinische Erprobung ohne weiteres einsteigen zu können. Offensichtlich gibt es jetzt - nicht zuletzt aufgrund des öffentlichen Drucks - die Planung für eine klinische Studie beim Glioblastom (Gehirntumor). Ein entsprechender Antrag für Fördergelder soll bei der Deutschen Krebshilfe gestellt worden sein.

BKG: Welche Risiken und Nebenwirkungen gibt es bei Methadon?

Dr. Rechenmacher: Auch wenn es richtig ist, dass für die Tumorschmerzbehandlung in der Regel geringere Dosierungen als bei der Heroin-Ersatztherapie zum Einsatz kommen, so ist Methadon nur selten nebenwirkungsfrei. Grundsätzlich kann Methadon dieselben Nebenwirkungen wie andere stark wirksame Opiate hervorrufen, sehr häufig Übelkeit, chronische Verstopfung, Müdigkeit und Mundtrockenheit. Zudem wird bei Methadon ein erhöhtes Risiko für schwere Herzrhythmusstörungen und ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko angenommen. Hinzukommt, dass Palliativpatienten "kränker" sind als Substitutionspatienten, was die trotz niedrigerer Dosierung doch größere Rate an beobachteten (teils erheblichen) Nebenwirkungen vielleicht erklärt. Ferner kann Methadon den Leberstoffwechsel beeinflussen, was sogar zu einer verminderten Wirkung einer zeitgleich verabreichten Chemotherapie führen kann. Das Medikament sollte deshalb nur von Ärzten eingesetzt werden, die über ausreichend Erfahrung im Umgang mit Methadon verfügen.

BKG: Schwerkranke Krebspatienten können nicht lang auf Studienergebnisse warten, sie sterben vorher. Was können sie tun, um Methadon im individuellen Heilversuch zu erhalten?

Dr. Rechenmacher: Hier müssen wir uns kurz anschauen, was unter einem individuellen Heilversuch zu verstehen ist: Wenn alle Methoden der wissenschaftlich basierten Medizin ausgeschöpft sind und keine
Standards mehr existieren, darf der Arzt auch nicht endgültig erwiesene Methoden einsetzen. Im Rahmen seiner Methodenfreiheit kann der Arzt Mittel empfehlen, er muss es aber nicht. Patienten haben keinen Anspruch darauf. Denn als wichtige Voraussetzung gilt: der Arzt muss von einer Heilmethode einigermaßen überzeugt sein. Angesichts der aber sehr limitierten Daten in Hinblick auf Methadon dürfte das derzeit objektiv - unter rein wissenschaftlichen Kriterien - recht schwerfallen.

Palliativpatienten, die nach ärztlichem Dafürhalten nicht durch eine anderweitig suffiziente Schmerztherapie sinnvoll behandelt werden können, werden Methadon von ihrem Palliativspezialisten erhalten. Das ist dann kein individueller Heilversuch, sondern eine in diesen Fällen anerkannte Therapie.

BKG: Wie sollten Ärzte Ihrer Meinung nach auf die Nachfragen von schwerkranken Patienten reagieren? Gibt es Alternativen zu Methadon?

Dr. Rechenmacher: Ärzte sollten die Patienten mit ihrer Anfrage ernst nehmen, denn verständliche Informationen über die verschiedenen Aspekte können Patienten und ihren Angehörigen sehr helfen. Im Alltag nimmt das Thema Methadon in meinen Gesprächen derzeit recht viel Raum ein. Bedauernswerter Weise manchmal zu Lasten von Dingen, die vielleicht besser geeignet wären, etwas zu verbessern. Ich erfahre im Gespräch mit meinen Patienten sehr oft, dass es nicht "nur" um Methadon als solches geht, sondern um Hoffnung auf Heilung, Hoffnung auf längeres Leben trotz der unheilbaren Krebserkrankung oder auch darum, etwas "aktiv" gegen den Krebs tun zu können. Es geht um den Wunsch nach Verbesserung von Lebensqualität - und hier können wir dank moderner Supportiv- und Palliativmedizin als "Alternative zu Methadon" heute sehr viel tun.

BKG: Vielen Dank für das Interview!

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