Die Selbsthilfegruppe „Victoria“ hat sich als selbst ernannte „Onko-Gruppe Victoria“ das Rudern auf ihre Fahnen geschrieben. Ihre Mitglieder treffen sich regelmäßig im Nürnberger Ruderverein von 1880 e.V., um gemeinsam aufs Wasser zu gehen. Dabei geht es – im Gegensatz zum klassischen Rudern – aber nicht um Bestzeiten. Was zählt ist vor allem der Mannschaftsgeist. Die Mitglieder ziehen aus dem gemeinsamen Rudern und der gleichförmigen Bewegung auf dem Wasser und in der freien Natur enorme Kraft, um ihre Erkrankung zu bewältigen und den Krebs zu besiegen. „Das Rudern hat mir sehr dabei geholfen, mein Leben trotz Erkrankung wieder gut zu leben. Ich habe mehr Kraft und Stabilität. Das fühlt sich gut an, wie ein innerer Sieg, deshalb auch der Name „Victoria“, erklärt Andrea Böckelt. Sie ist gemeinsam mit Silke Stuhlfauth Sprecherin der Gruppe und pflegt engen Kontakt zu unserer Psychosozialen Krebsberatungsstelle in Nürnberg.
Die Gruppe „Victoria“ ist eine gemischte Gruppe von Betroffenen mit verschiedenen Krebserkrankungen. Sie hat derzeit 12 aktive Mitglieder: Acht Frauen und vier Männer, darunter auch drei Angehörige. Im Vergleich zu monatlichen Treffen anderer Selbsthilfegruppen ist der Kontakt in der „Victoria“ sehr eng, denn die Mitglieder kommen 1-2-mal pro Woche zum Rudern in ein Bootshaus des Vereins entweder am Dutzendteich oder am Rhein Main-Donau-Kanal. In der Regel braucht es für ein Treffen bis zu 3 Stunden, denn die Zeit vor und nach dem Rudern gehört dazu, um das Boot zu Wasser zu lassen und wieder ins Bootshaus zu tragen. Auch im Winter trainieren sie regelmäßig in der Halle auf dem Ergometer-Rudergerät und machen gemeinsam Gymnastik, um sich fit zu halten.
Die Vorzüge des Ruderns liegen auf der Hand: Kaum eine Sportart trainiert den Körper so gleichmäßig wie das Rudern. Egal ob Arme, Schultern, Brust, Rücken oder Beine – nahezu alle Muskelgruppen werden beansprucht. Gleichzeitig verbessern sich Ausdauer, Koordination, Herz- und Kreislauf. Es kommt kaum zu Spitzenbelastungen und die Verletzungsgefahr ist gering. Rudern baut Stress ab und verbunden mit dem Sport im Freien und der beruhigenden Wirkung des Wassers ist es eine Wohltat für Körper und Geist. Deshalb eignet es sich auch gut als Rehabilitationssport bei Krebs. Es hilft Betroffenen dabei, ihr Wohlbefinden zu verbessern, das Immunsystem zu stärken, chronische Müdigkeit zu reduzieren und die soziale Isolation durch die Erkrankung zu durchbrechen.
Aber was reizt die Teilnehmer am Rudern? Für Silke Stuhlfauth ist es vor allem die Kombination aus der Bewegung in der Natur und dem Mannschaftsgefühl: „Man ist nicht allein, lässt gemeinsam das Boot zu Wasser, rudert zusammen, genießt die Pausen auf dem Wasser. Dort herrscht eine besondere Atmosphäre, in der man gut über bestimmte Themen sprechen kann. Weil man hintereinander in einer Reihe sitzt, lassen sich schwierige Themen teils viel freier ansprechen“.
Und Andrea Böckelt erklärt: „Rudern ist ein besonderer Sport, der Ruhe und mentale Stärke vermittelt, denn auf dem Wasser kann man gut abschalten. Das ist für uns sehr wichtig, denn die Therapien sind kräftezehrend und belastend. Durch das Rudern können wir uns körperlich und auch seelisch stabilisieren. Das Rudern fördert auch den Teamgeist und gegenseitige Rücksichtnahme. Wir achten auf uns und vertrauen einander.“
Gegründet wurde die „ONKO-Gruppe Victoria“ im Februar 2015. Die Idee dafür wurde aber bereits 2012 bei der Regatta „Rudern gegen Krebs“ in Nürnberg geboren. Dort gingen – initiiert vom Klinikum Nürnberg und unserer Psychosozialen Krebsberatungsstelle – auch einige Boote mit Krebspatienten an den Start. Es brauchte aber noch eine zweite Regatta im Jahre 2014 in Erlangen, um den Wunsch nach einer eigenen Ruder-Gruppe so richtig reifen zu lassen. Wieder saßen einige „altbekannte Gesichter“ mit im Boot. Vier Ruderer, darunter auch die Sprecherinnen der heutigen Gruppe, gaben ihrer Mannschaft den Namen „Victoria“ und prägten damit unbewusst auch den Namen der heutigen „Onko-Gruppe Victoria“.
Große Unterstützung findet die Gruppe in ihrem Trainer Peter Bernsdorf vom Ruderverein Nürnberg. Er war nicht nur ihr erster Ansprechpartner im Verein, sondern ist bis heute auch ihr größter Fürsprecher. Denn er überzeugte die Erlanger Professoren davon, für die Rudergruppe zu spenden und setzte sich im Verein dafür ein, dass die Mitglieder zu einem ermäßigten Beitrag von 12 Euro pro Monat trainieren dürfen. Und im Gegensatz zu jüngeren, meist Wettkampf-ambitionierten Trainern brachte er die nötige Erfahrung, Ruhe und Weitsicht mit, um die noch geschwächten Teilnehmer langsam ans Rudern heranzuführen und für diesen Mannschaftssport zu begeistern. Seit der Gründung trainiert er die Gruppe, weist geduldig Anfänger ins Rudern ein und kümmert sich um alle organisatorischen Belange rund ums Rudern.
Natürlich steht der Sport nicht immer im Vordergrund. Es gibt auch viele andere Aktivitäten, wie gemeinsame Ausflüge, Wandern, Konzertbesuche oder Grillabende im Vereinshaus des Rudervereins. „Oft sitzen wir auch nach dem Training im Ruderverein zusammen und tauschen uns aus. Wir kommen gerne zusammen. Der harmonische Austausch ist wichtig, aber auch Konflikte werden offen angesprochen“, erklärt Andrea Böckelt.
Die Gruppe ist offen für neue Mitglieder. Mitmachen darf jeder Krebsbetroffene, der Rudern mal ausprobieren möchte. Er muss schwimmen können, sollte keine Scheu vor dem Wasser haben. Natürlich wird jedem Neuling empfohlen, sich vorab mit seinem Arzt abzustimmen, um mögliche Gegenanzeigen auszuschließen. „Aber niemand muss Angst haben! Anfänger erhalten natürlich eine Einweisung auf dem nur bis zur Brust reichenden Wasser des Dutzendteichs. Außerdem sitzt immer mindestens ein erfahrener Ruderer oder Steuermann mit im Boot und erfahrungsgemäß kippt das so gut wie nie um“, beruhigt Andrea Böckelt.